Mein Weg zurück zu mir -Coaching&Psychotherapie

Brustkrebs zu haben ist nicht immer einfach und bringt dich auf den Boden der Tatsachen zurück. So wie ich auch meine Gesundheit verlor, so verlor ich auch mich selbst. Es fiel mir nicht einfach zurück zu mir zu finden. Als erstes ging ich zurück nach Hamburg wo ich aufwuchs. Zum ersten Mal suchte ich mir für mich allein eine eigene kleine Wohnung die ich genau so liebevoll einrichtete wie ich es geschmacklich haben wollte. Im Flur ein großer Spiegel mit viel altem Holz herum, die Garderobe im ähnlichen Stil. Alles wurde hell gestrichen, denn das alte Schweinchenrosa was bis unter die Decke in jedem Zimmer vorhanden war, musste dem allen weichen.

img_4561Helle Grautöne und eines helles Weiß (weiß ist ja bekanntlich immer hell :)). Genauso sollte auch mein inneres wieder werden. Natürlich überstand ich diese Krankheit ganz gut, doch die Psyche litt sehr darunter. Mehr als ich manchmal selbst zugeben wollte.

Nachdem meine Wohnung nach einem halben Jahr fertig eingerichtet war, kam ich zurück zu mir. In meinem eigenen kleinen Reich fühlte ich mich wohl, doch auch innerlich musste ich mich wieder wohlfühlen. Ich musste zurück zu mir finden. Aber gab es das überhaupt noch? Mein altes ich? Und wie sah das aus?

Im April 2017 kam dann der Hörsturz noch dazu, irgendwas musste sich ändern. Immer nur mit Freunden über alles zu reden war für mich wie eine Endlosschleife, ich kam irgendwie nicht weiter. Einen Platz beim Psychologen zu bekommen war für mich aussichtslos, dachte ich, aber es war so nötig meiner Meinung nach. Ehrlich gesagt war es mir auch egal was andere darüber sagen würde, dass ich einen Therapeuten hätte. Wenn es mir doch hilft, dann hilft es auch meinem Gegenüber, denn ich kann die Dinge besser nachvollziehen und für mich greifen ohne gleich auszurasten oder zu werten. Und wenn etwas verarbeitet ist kannst du es ad acta legen, so dass es dich nicht mehr belastet.

Ich wollte natürlich nicht wie immer auf alles lange warten, also machte ich mich auf die Suche und fand in der Sankt Petri Kirche in Hamburg eine tolle Therapeutin innerhalb von zwei Wochen. Das Beratungsunternehmen- und Seelsorgezentrum bietet Therapien gegen Bezahlung an. 2% deines Nettogehaltes kostet es pro Stunde und du bekommst recht zügig einen Platz. Wöchentlich fand die Therapie statt und es ging mir schon besser.

Im Mai machte ich dann noch eine Familienaufstellung bei Wirkunsgreich in Hamburg, um so schnell wie möglich die Wurzel allen Übels zu finden. Bei einer Familienaufstellung geht es um ein Anliegen welches nicht gelöst wurde in deinem Leben und welches du immer noch mit dir herumträgst. Der Workshop fand ein ganzes Wochenende statt, ca 15 wildfremde nahmen daran teil und einige auch in meiner Aufstellung. Während den Aufstellungen kommt es zu emotionalen Ausbrüchen oder anderen Gefühlen die dadurch ausgelöst werden. In meiner Aufstellung fühlte ich mich wie in einem Film der an mir vorbeizog, die Emotionen waren so stark, dass ich zutiefst weinte. Am Ende stellte sich heraus, dass ich nie gelernt habe mich abzugrenzen und so immer wieder Menschen in mein Leben ließ, die nicht gut zu mir waren. Mein Glaubenssatz war „Ich bin für das Glück anderer verantwortlich“. Nach der Aufstellung durfte ich 3 Wochen lang mit niemandem darüber reden, um es zu verinnerlichen. Ich weinte 2 Monate lang jeden Tag auf meinem Heimweg mit dem Fahrrad. Manchmal auch in den Pausen bei der Arbeit.

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Su in Berlin

Im gleichen Monat traf ich eine alte Freundin wieder.  Sie erzählte mir von ihrer Ausbildung zum Coach und fragte mich, ob ich nicht als Trainee für einen Bekannten bei seiner Coaching Ausbildung unterstützen möchte. Denn nicht nur er würde dadurch profitieren sondern auch ich. Ich hatte nichts zu verlieren und nach ein paar Gesprächen mit Anton ging es im Mai 2017 bei COATRAIN mit dem Coaching und personal Training los. Wir arbeiteten in den ersten Gesprächen meine Erwartungen und meine Ziele aus. Zudem musste ich mir darüber klar werden was mir wichtig bei Freunden, Familie und Arbeit ist. Und ich erarbeitete heraus wie ich in Konfliktsituationen sprachlich am besten reagiere, so dass es für mich und mein Gegenüber verstanden wird. Wenn das alles nichts half, so optimierte ich mein Verhalten gegenüber Menschen die es nicht so gut mit mir meinten. Da ich schon als kleines Kind viel reiste und immer wieder neue Menschen kennenlernte, war es nicht schwer dann irgendwann den Kontakt zu verlieren oder wie jetzt einfach mal zu kappen, zu beenden. Und alles negative hinter mir zu lassen, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen haben müsste. Das Coaching lief ca 3 Monate lang. Im August beendete ich das ganze erfolgreich.

Durch die Mutter eines Freundes bekam ich dann relativ schnell einen richtigen Therapieplatz. Während der Therapie las ich das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl. Abends vor dem Zubettgehen las ich in dem Buch, manchmal nur ein paar Seiten, da ich das Gelesene erstmal verarbeiten musste und auch konnte. Besonders die Erniedrigungen von meinem damaligen Partner während meiner Krankheit saßen tief. Dennoch wollte ich es allein schaffen bevor ich mich wieder auf jemanden neu einließ. Denn warum sollte jemand anderes unter dem was ich erlebt hatte leiden. So langsam fand ich wieder zu mir zurück.
Die Anfangsmonate der Therapie waren hart und ich weinte sehr viel, nachts hatte ich viele Albträume. Generell zog ich mich zurück und umringte mich immer mehr mit guten engen Freunden sowie Menschen die mich positiv inspirierten. Ich machte Dinge die mir Spaß brachten, fuhr zu meinen Großeltern, fuhr in den Snowboardurlaub. Oft verbrachte ich den Abend aber zuhause mit meinen zwei Kaninchen. Die Abstände zwischen den Therapiesitzungen wurden immer größer, da es mir besser ging.

Ich verabschiedete mich von langjährigen Freunden, da ich immer mehr bemerkte, dass sie mir nicht gut taten oder schlecht hinter meinem Rücken über mich redeten. Alte Freunde kamen wieder dazu, denn durch mein jahrelanges Herumreisen hatte ich zu einigen weniger Kontakt gehabt, der jedoch in Hamburg wieder aufblühte.

Mit 23 Jahren verließ ich Hamburg, um die Welt mehr zu erkunden. Doch in der ganzen Zeit fragte ich mich immer wieder „Was wäre, wenn ich wieder zurück nach Hamburg gehen würde?“ Und die Antwort habe ich jetzt vor mir. Es war die beste Entscheidung die ich treffen konnte, obwohl der Anfang wirklich hart war. Hamburg, das Tor zur Welt, war für mich das Tor zu mir zurück. Ich selbst bestimmte das Tempo, ich selbst bestimmte wohin die Reise in mir weiterging. Damals konnte ich mir nichts darunter vorstellen was auf mich zukommen würde oder was persönliche Weiterentwicklung bedeutete. Vor diesem Schritt hatte ich keine Angst, auch nicht vor der Veränderung die ich allein durchlebte. Die ganze Zeit war ich nur gespannt auf die Person die am Ende rauskommen würde. Ich bin einfach ungeduldig 🙂 . Genau so schnell wie ich auf der Autobahn bin, nämlich auf der Überholspur, so war ich es auch mit mir selbst. Und ich konnte es kaum fassen wie weit ich es geschafft hatte nach allem was passiert war. Der Start war die Selbstliebe zu mir, immer positiv zu bleiben wie ich es schon immer war, mich abzugrenzen, mir nur gutes zu tun, mich auch mal in den Arm nehmen, wenn etwas schief läuft. Mich nicht mehr schlecht zu fühlen, wenn ich etwas ablehne, mir kein schlechtes Gewissen mehr einreden zu lassen.

Das alles machte auch mehr Sinn das alles zu durchleben als ich dachte, denn es bereitete mich auf eine Zeit vor die noch schwerer werden würde als alles andere zusammen. Alles im Leben ergibt jedoch einen Sinn, so auch diese Zeit. Denn ohne diese Zeit wäre ich nicht so gewappnet gewesen und hätte diesen Orkan nicht so gut überstanden.

Ich entschied mich meinen alten Job zu verlassen, da ich mehr wollte. Nach ca 3 Monaten in meinem neuen Job widmete ich mich immer mehr meinen Großeltern. Sie img_2896waren beide erkrankt, so wie ich, an Krebs. Da ich selbst alles schon mitgemacht hatte, konnte ich den beiden sehr nachfühlen. Mit Oma und Opa wie früher in der Mitte im Bett zu liegen, ihnen die Hand zu halten, über den Kopf zu fassen, ihnen einen Kuss auf die Stirn zu geben. Oder einfach nur die Füße zu massieren, da alles verkrampft war. Einfach bei ihnen zu sein und sie zu unterstützen lag mir sehr am Herzen, da ich selbst genau wusste wie wichtig es ist einfach nur da sein, auch wenn man mit im Bett liegt und eine Zeitung liest. Hauptsache es ist jemand da. Die Distanz Hamburg – Thüringen erschwerte das ganze jedoch.

Im Juni verstarb dann eine gute Freundin an Leukämie. Und Anfang Juli kam dann meine Klatsche. Der Krebs war zurück. In den Knochen und in den Lymphknoten. Als ich es erfuhr war mein erster Gedanke meine Beerdigung sowie meine Wohnung so schnell wie möglich aufzuräumen, so dass meine Angehörigen nicht so viel Arbeit mit dem Aufräumen hätten. Die Tortur der Therapie begann. MRT hier, CT da, neue Medikamente, dauernd die Fahrt nach Leipzig ins Uniklinikum, Blutwerte testen.

Ich war bei den ersten Sitzungen so breit von den Medikamenten, dass ich auf der Autobahn eine Herde Kühe sah und rief „Ob man die Kühe hier auch kaufen kann?!“ Es ist eine verstärkte Antihormontherapie, die ich derzeit bekomme. Also keine Chemo und keine Bestrahlung.

 

 

Mein neuer Job hatte dafür kein Verständnis und kündigte mich während meiner Krankschreibung. Die nächste Säule in meinem Leben kippte einfach so weg. Ich ärgerte mich nicht lange, denn die Kraft brauchte ich für anderes. Und was nicht sein soll soll einfach nicht sein.

06d19d50-cd09-4930-8e03-142e5be8d687Im September dann der nächste Schlag, Muschel erkrankte schwer und ich durfte nicht nah an ihn heran, da es für mich ansteckend hätte sein können. Es brach mir das Herz den kleinen Mann so zu sehen. Er kippte beim Laufen um, brauchte Hilfe bei allem was er tat. „Nicht auch noch er!“ dachte ich innerlich. Mein treuer kleiner Gefährte. Es dauerte mehr als drei Wochen bis er wieder gesund war. In der Zeit war er in Quarantäne im Wohnzimmer, guckte seine Lieblingssendungen und genoss den all inclusive Service auf seinem kleinen Sofa.

Meine Ärztin in Hamburg hatte auch kein Verständnis, behielt die Therapie bei und wollte nichts weiter machen als abwarten. Dass es bereits neue Therapien auf dem Markt gab war ihr nicht bewusst. „Was wollen Sie in Leipzig? Viele Köche verderben den Brei!“ rief sie durchs Telefon. Im Nachhinein erfuhr ich, dass sie bei der Freundin meiner Freundin genauso handelte. Diese Freundin weilt nun nicht mehr unter uns. Mittlerweile mache ich die Therapie in Hamburg im UKE in Absprache mit Leipzig. So habe ich die besten Ärzte um mich herum die mit den neuesten Therapien vertraut sind. Dr Volkmar Müller und Dr Susanne Briest sind mein Backup für alles. Ich wollte die besten Ärzte also suchte ich danach. Hand in Hand verläuft alles gut, die Metastasen sind jedoch noch da. Auch wenn ich schwach bin, ich schaffe das irgendwie. Zwei Operationen später und mehrere Male Spritzen und Tabletten habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt und bei den Spritzen alle vier Wochen schaue ich schon nicht mehr hin, da sie so riesig sind. Mit den Schwestern mache ich eher Scherze, so dass ich es gut verkrafte. Trotzdem ist es echt Scheiße, wenn du den Gang im Krankenhaus runtergehst als jüngste von allen Patienten oder du weißt, dass deine Freundin es vor Monaten nicht mehr lebend hier rausgeschafft hat.

Ich fing an zu kämpfen, für mich, für mein Leben. Meine Kraft schwand jedoch immer mehr und ich konnte nicht mehr zu meinen Großeltern. Es war für mich eine Zerreißprobe, denn sie waren wie meine Eltern. Mein Opa ganz besonders wie mein Seelenverwandter, mein bester Freund. Einer mit dem ich als kleines Kind auf den Schweinen ritt oder wir mit dem Traktor den Wald unsicher machten. Wir zusammen Hühner kauften, und weil wir keine Box mithatten mussten die einfach in den guten Baumwollbeutel. Egal wie, er brachte mich immer zum Lachen. Jemand besonderes einfach. Einer der mir beibrachte was es heißt Respekt zu haben und nicht zu lügen, gut zueinander zu sein und immer für seine Frau da zu sein.

All die Jahre auf Reisen fragte ich mich immer wer mein Vorbild sei und da hatte ich die Antwort. Es waren meine Großeltern. Andere heutzutage könnten sich davon mal eine Scheibe abschneiden. Durch dick und dünn gehen und immer für den anderen da zu sein. Es brach mir das Herz sie beide im letzten Viertel des Jahres 2018 zu verlieren, als hätte jemand etwas rausgerissen aus meinem Körper. Alles das was mich ausmachte in der Vergangenheit, mein Zuhause, war auf einmal weg. Der Weg den ich gegangen war, um zu mir zurückzufinden, war auf einmal wie weggeblasen.

Dennoch hatte ich mir tolle Freundschaften aufgebaut auf die ich zählen konnte und im

ganzen Trubel fand ich jemanden besonderes der meiner Meinung nach zuerst in der falschen Minute kam. Jetzt denke ich aber, dass manche Menschen vom Universum geschickt werden, denn ohne ihn hätte ich das alles nicht überstehen können. Genau in dem Moment wo ich alles verlor, gewann ich alles wieder zurück. Der Glaube an die Liebe, die Zuversicht, dass alles gut wird und Menschen die mich von Herzen lieben und für mich da sind, geben mir die Kraft weiterzumachen. Auch wenn es Tage gibt wo ich am liebsten alles hinschmeißen würde. So lohnt es sich immer wieder aufzustehen, denn das Leben bietet noch so viel mehr als wir uns erträumen können.

Was mich das alles gelernt hat? Niemals aufzugeben. Ich setze mir einen Fokus im Leben und kämpfe dafür bis ich das Ziel erreicht habe egal was für Steine mir auf diesem Weg gelegt werden. Zudem habe ich immer das Vertrauen und die Zuversicht, dass alles irgendwann gut werden wird, egal wie. Denn mit meinen eigenen Gedanken kann ich alles erreichen was ich möchte. Ob mich der Krebs daran hindern wird weiß ich nicht, aber der Versuch ist es wert, es auszuprobieren. Denn wenn ich es nicht probiere, habe ich schon längst verloren.

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11 Antworten auf “Mein Weg zurück zu mir -Coaching&Psychotherapie”

  1. Liebe Susan, ich freue mich sehr das ich auf Deine Seite gestoßen bin. Das ist für mich alles sehr interessant, was Du dort aufgeschrieben hast. Ich selbst bin 2014 auch an Brustkrebs mit Knochenmetastasen erkrankt. Seitdem blogge ich auch. Das Schreiben hilft mir auch dabei meine Erkrankung und die damit zusammenhängenden Probleme besser verarbeiten zu können. Mein Blog findest Du unter : http://www.andrea-v.de

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    1. Liebe Andrea,
      Ich freue mich dich kennenzulernen und bin froh, dass auch du hier alles verarbeiten kannst. Gern schaue ich bei für vorbei und wünsche dir von Herzen alles Gute und viel Gesundheit.

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  2. Liebe Su,

    danke für die schöne Begrüßung. So ein Scheiß, dass der Krebs wieder zurückgekommen ist..Das macht mich sehr traurig – ein Wechselbad zwischen Heulen und Freude über den lieben Menschen, den du gefunden hast und all die anderen, die dir zur Seite stehen und dich lieben so wie du bist, egal ob mit zwei Brüsten, einer Brust, kurzen Haaren, langen Haaren oder Glatze. Die dich in den Arm nehmen oder einfach mit ihren Belanglosigkeiten vollquatschen, auch wenn du grad wegen deiner Gefühlsschwankungen eigentlich unausstehlich bist und von einer auf die andere Minute von der süßen Fee zum unausstehlichen Feldwebel mutierst. Ich wünsche dir, dass du immer solche Menschen an deiner Seite hast.

    Liebe Grüße
    Andrea

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