Der Schmerz in mir

Ich wuchs auf mit einem Glaubenssatz „Ich bin für das Glück der anderen verantwortlich“

Als ich die Diagnose metastasierter Brustkrebs 2018 bekam, lernte ich gerade meinen Mann kennen. Die Liebe meines Lebens.

In den letzten Jahren passierte viel mit der Krebserkrankung, sie veränderte mich und machte mich stärker, aber eigentlich immer härter.

Das Netzwerk

Ich engagierte mich im Krebsbereich und wollte anderen einen Halt geben, den ich sonst nicht hatte. Durch mein Bloggen und Das Netzwerk „Cancer Unites“ arbeitete ich mit vielen anderen Erkrankten zusammen, um so schnell alles zu verbinden was es im Krebsbereich an Infos gab.

Dabei traf ich auf Menschen im Krebsbereich die nicht nur wohlwollend waren sondern die mich anschrien, die mich beklauten (ja ich warte immer noch auf mein MacBook den ich an eine Freundin verlieh, damit sie arbeiten konnte), die neidisch waren „Warum bist du auf der Bühne und ich nicht?!“, die einem nichts gönnten „Ach guck mal die ist schon wieder in einem Magazin zu sehen“. All das machte was mit meinem kleinen großen Herzen, das eigentlich nur Liebe wollte und ein Verständnis für eine Krebserkrankung in der Öffentlichkeit erzielen wollte, um das Leben für Erkrankte und Angehörige zu vereinfachen. Die Verletzungen saßen tief, sehr tief. Der Schmerz war für mich an manchen Tagen nicht auszuhalten und wirkten sich auch auf meine körperliche Verfassung aus. Der Schmerz der in mir herrschte musste weg, also verpackte ich den Schmerz in Härte. Für viele sah dies nach Stärke aus, für mich war es Härte pur. Sobald ich Angst hatte, dass mich jemand wieder verletzen könnte, stieß ich die Person von mir, ging schnell aus der Situation heraus. Grenzen setzen und so, ist ja wichtig. Und dabei war das einzige Ziel was ich doch immer nur hatte, Menschen zu verbinden und Harmonie zu schaffen, Netzwerke erstellen, so dass keiner sich allein fühlte. Aber war es das alles wert, so darunter zu leiden?

Härte anstatt Stärke

In den Jahren verlor ich mich selbst, wurde „stärker“, aber eigentlich härter. Mein Herz verschloss sich immer mehr aus Angst, weiter verletzt zu werden. Von meinem Umfeld verlangte ich genau so tough zu sein. Wenn ich das kann, dann können es doch auch andere. Selbst bei Männern dachte ich „Was für eine Lusche!“Und dabei ist gerade die Orientierungslosigkeit der Männer ein großes Thema in der Gesellschaft. Sei nicht zu emotional, sei nicht zu schwach, sei nicht zu stark, sei dies nicht, sei das nicht… Wo finden wir uns wieder, wenn wir gar nicht wissen wer wir sein dürfen oder sollen?

Der Kampf mit dem System


Was mich zusätzlich zermürbt hat, war nicht nur die Krankheit selbst, sondern der ständige Kampf mit Behörden und Versicherungen. Immer wieder musste ich mich rechtfertigen – vor der Rentenversicherung, bei Pflegegraden, mit Anwälten und in unzähligen Widerspruchsverfahren. Dieses Gefühl, permanent erklären zu müssen, warum man krank ist, warum man Unterstützung braucht, warum man nicht so kann wie früher, hat mich innerlich ausgelaugt. Es macht einen klein, unglaubwürdig und oft auch beschämt.
Dabei möchte ich nichts weiter, als in Frieden zu leben, mit der Kraft, die mir noch bleibt. Aber anstatt dass die Gesellschaft oder der Staat diesen Weg leichter machen, bauen sie noch zusätzliche Hürden auf. Das schmerzt. Und es verstärkt dieses Gefühl, sich verhärten zu müssen, nur um überhaupt durchzukommen.

Während ich meinen eigenen Schmerz immer tiefer vergrub und in Härte verwandelte, hoffte ich gleichzeitig, dass die Welt draußen wenigstens fürsorglicher und bewusster wird. Gerade die Corona-Zeit erschien mir wie ein Moment, in dem wir alle hätten lernen können, wie verletzlich wir sind und wie sehr wir aufeinander angewiesen bleiben. Doch auch hier erlebte ich das Gegenteil.

Rücksicht in Zeiten von Corona


Als Corona kam, dachte ich zunächst, es würde die Menschen bewusster und rücksichtsvoller machen. Dass wir einander mehr achten, dass wir lernen, wie verletzlich wir alle sind, und dass Empathie wächst. Doch das Gegenteil ist passiert. Statt Rücksicht erlebte ich oft Egoismus: Menschen gingen krank zur Arbeit, mit Husten in den Supermarkt, trafen sich, obwohl sie Symptome hatten. Für sie war es nur ein Schnupfen, für mich konnte es das Ende einer Therapie bedeuten oder eine weitere Infektion, die meinen Körper schwächte.

Ich war diejenige, die sich immer schützen musste, die mit Maske einkaufte, die ständig abwog, ob ein Treffen möglich war oder nicht. Und trotzdem habe ich mich immer wieder angesteckt, mit Corona, mit Erkältungen, nur, weil andere nicht hinschauten oder nicht bereit waren, Verantwortung zu übernehmen.

Dieses Verhalten hat mich nicht nur traurig gemacht, sondern auch verletzt. Denn in solchen Momenten spürt man, wie wenig man wirklich gesehen wird. Und anstatt meine Verletzlichkeit zu zeigen, habe ich den Schmerz noch stärker in Härte verwandelt. Härte war mein Schutz, mein Panzer, doch eigentlich war es nur die Angst, wieder enttäuscht oder geschwächt zu werden. Gerade in einer Zeit, in der wir alle hätten lernen können, achtsamer und liebevoller miteinander zu sein, erlebte ich das Gegenteil. Und das hat etwas in mir verschlossen, was ich erst langsam wieder öffne.

Denn eigentlich wünsche ich mir nichts sehnlicher, als weich bleiben zu dürfen, vertrauen zu dürfen, dass Rücksicht selbstverständlich ist. Doch wenn Rücksicht fehlt, bleibt nur der Selbstschutz. Und der fühlt sich oft wie ein Panzer an.

Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass Achtsamkeit und Empathie nach Corona größer geworden wären. Stattdessen habe ich gelernt: Rücksicht ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist eine bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung, die so viel verändern kann – für die, die ohnehin schon verletzlich sind.

Den Schmerz verstecken

Der Schmerz in mir wurde tiefer. Therapien wirkten nicht mehr und ich empfand oft Wut und Traurigkeit, die ich meinem Umfeld nicht antun wollte. Es brach mir das Herz zu sehen wie alle unter meiner Krankheit litten. Ich fand einen Weg diesen Schmerz zu verpacken, dass ich ihn nicht mehr spürte. Meine Härte wurde immer stärker.

Bis zu dem Punkt wo ich dieses Jahr im Mai 2025 fast verstarb. Als die Therapien nicht mehr griffen, ich auf dem Boden lag mit Kopfhörern in den Ohren, an die Wand starrend. Erst Enhertu, dann Trodelvy, dann Adriamycin und nun Taxan was Gott sei dank wirkt. Mehr dazu in meinem Krebskalender

Mein Mann sah dabei zu wie ich nur noch Haut und Knochen war, wie ich nichts essen konnte, weil mein Mund entzündet war, wie ich das Haus nicht mehr verlassen konnte, wie ich immer mehr vereinsamte. Ich war oft wütend und ließ alles an ihm aus. Er versuchte da zu sein, zu funktionieren, mit allem was da war zu jonglieren. Haushalt, Arbeit, Krankheit. Doch wo blieb er , wo bleiben die Angehörigen in dieser Zeit?

Allein sterben

Diese Zeit, in der mein Körper Richtung Tod ging, löste einen großen Schmerz in mir aus, denn ich wollte nie, dass der wichtigste Mensch in meinem Leben mich so sieht. Der Schmerz wurde so groß, dass ich immer härter wurde. Ich konnte es nicht mit ansehen, wie mein Mann unter mir litt, unter der Situation, wie er mit ansehen musste wie alles schlimmer wurde. Ich war nicht mehr die Frau die ich früher war. Die süße kleine Blondine auf ihrem SUP Board. Also dachte ich darüber nach ins Hospiz zu gehen, um allein zu sterben. 

Den Schmerz nicht mehr spüren

Ich wollte den Schmerz nicht mehr fühlen und sehen, blendete alles aus. Es war nicht auszuhalten, und die Verwandlung in Härte war einfacher auszuhalten als diesen Schmerz zu spüren, der sich durch meinen ganzen Körper zog und mir die Luft abschnürte. Von der Brust aus zog er sich in jede Ader und Vene.

Dass so eine Ausnahmesituation mit allen etwas macht, die um einen herum sind, das war mir klar. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte für die Traurigkeit der anderen nicht schuldig sein.

Die Therapie Taxan fing an zu wirken und alle Metastasen gingen nach der 3. Therapiesitzung zurück. Es ging mir stetig besser und ich freute mich, zurück ins Leben gehen zu dürfen. Die Verarbeitung in meinem Kopf vergaß ich dabei. Auch, dass mein Partner irgendwie stehen blieb und selbst erstmal Zeit zum Verarbeiten brauchte. Schließlich ging er über seine Grenzen, verlor Kraft und Energie die er nirgends aufladen konnte. Er war im Arbeits- oder Versorgermodus. Wo blieb da noch Zeit fürs Kraft tanken, für die Selbstfürsorge?

Es geht mir besser – warum den anderen nicht auch?

Ich blieb hart und fragte mich warum sich keiner freute, dass es mir wieder besser ging? Dabei vergaß ich, dass jede/r seine eigene Zeit braucht diese Situation, diese Monate zu verarbeiten. Ich dachte ich hätte dies verarbeitet, dabei schob ich es einfach beiseite, denn ich wusste innerlich, dass diese Zeit so hart für mich war und ich diese Gefühle dazu nicht zuließ, da es zu schmerzhaft war. Nach Wochen schwerer Gespräche und Zeiten ging ich zurück in die Vergangenheit, durchlebte nochmal alles was passierte und fand wieder einen Zugang zu meinen Gefühlen. Und sah den Scherbenhaufen der dort noch lag und noch lange nicht aufgekehrt war. In dem Moment realisierte ich was passiert war und fing an zu weinen. Die Tränen liefen und liefen und liefen. All das was sich die letzten Wochen und Monate angestaut hatte, kam heraus. Ich konnte auf einmal all das sehen was passiert war und verdrängte es nicht mehr. Ich sah mich wie ich da lag, in der Hoffnung auf eine Therapie die endlich wirken sollte, wissentlich dass die aktuelle Therapie aber nicht wirkte, ich abnahm und schon bei 44kg war, ich mich kaum bewegen konnte, nichts essen konnte. Der Krebs übernahm meinen Körper und meine Psyche. An diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr getan mit „Denk mal positiv“. In diesen Momenten geht alles abwärts, ohne dass du etwas dagegen tun kannst. Da braucht es einen wirksame Therapie, Freunde und Angehörige die dich aufbauen und für dich und deinen Partner da sind. Sich von oben herab zu sehen, daliegend und zu wissen, dass es das bald gewesen ist. Es ist kein schönes Gefühl und kein Wunder, dass ich da nicht mehr mich selbst reinspüren wollte.

Vorwürfe

Ich machte mir Vorwürfe, dass ich nicht sah wie mein Mann an der Situation zerbrach. Für ihn war es selbstverständlich mich bis zum letzten Atem zu begleiten und ging dabei über seine Grenzen. Sich für sich selbst Zeit zu nehmen, daran war gar nicht zu denken für ihn. Ich habe in den letzten Jahren viel über Resilienz und Stärke oder auch Härte gelernt, konnte es vielleicht manchmal nicht auseinander halten. Dadurch konnte ich vieles anders verarbeiten, manchmal vielleicht auch schneller oder eben anders. Vielleicht habe ich das auch von anderen in bestimmten Zeiten erwartet und nicht gesehen oder wollte es nicht sehen, dass manch anderer nicht hinterherkam. Als Palliativpatient lebst du manchmal einfach im Turbogang auf der Rennstrecke und das mit 1.000PS unter der Motorhaube. (und ja ich liebe Motorsport, nicht umsonst habe ich mir mein Studium damit verdient, für BMW auf der DTM zu arbeiten. :) )

Plötzlich verstand ich, dass die Härte nur ein Selbstschutz von mir war und ich dadurch nicht mehr an meine Gefühle herankam und auch nicht mehr das fühlen wollte was andere fühlten. Denn dieser Schmerz war unausstehlich für mich. Und dennoch ist es menschlich zu fühlen und zu spüren, Mann wie Frau, Kinder wie Erwachsene. Denn nur durch unsere Emotionen haben wir Zugang zur Liebe, die der Grundbaustein für alles im Leben ist.

Der größte Schmerz

Es ist der größte Schmerz in mir zu wissen, dass Menschen die mich lieben, hilflos in einer Situation sind die einem einfach entgleitet und sie Angst haben, mich zu verlieren und nichts dagegen tun können. Denn wie hieß es so schön „ich bin für das Glück der anderen verantwortlich“. Wenn ich es nicht geschafft hätte, hätte das für mich bedeutet „Ich war für das größte Unglück der anderen verantwortlich“.

Der Schmerz ist gerade überall.


Scheue dich bitte nicht psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt Krebsberatungsstellen die dich und Angehörige unterstützen und auch mal schnell einen Termin haben. Auch ist es wichtig, sich Unterstützung zuhause zu holen und Angehörige zu entlasten. Angehörige sollten kein schlechtes Gewissen haben, sich mal aus der Situation herauszuziehen und Selbstfürsorge zu betreiben. Ich weiß, es ist leichter gesagt als getan. Dennoch ist es für beide Seiten hilfreicher, wenn Angehörige Kraft außerhalb dieser Situation tanken können, um so wieder Energie für alles zu haben was gerade anfällt.

https://www.uke.de/kliniken-institute/institute/institut-und-poliklinik-für-medizinische-psychologie/behandlungsangebot/spezialambulanz-für-psychoonkologie/index.html

https://krebsberatung-pinneberg.de

Zusätzlich gibt es noch eine Playlist die ich bei Spotify erstellt habe, falls du dich mal wieder spüren möchtest. „Feel me, feel you“

Weinen ist natürlich erlaubt und wirkt heilend.


Bei der lieben Nella vom Zellenkarussell habe ich einen tollen Beitrag gefunden, der von ihrem Mann geschrieben wurde und darüber schreibt wie es sich als Angehöriger anfühlt bei all dem Krebsalltag immer dabei zu sein. Sehr lesenswert und ich habe geweint am Ende.

Für etwas mehr Entspannung für dein Nervensystem empfehle ich immer wieder gerne Atemmeditationen von BreathQ . Ich nehme mir dafür 2x am Tag Zeit und freue mich immer wieder auf meine Atemzeit mit mir selbst. Zeit für sich allein zu haben ist wichtig. Wir brauchen Zeit für uns selbst, um den Tag und das Erlebte zu reflektieren, zu verarbeiten und uns wieder mit uns selbst zu verbinden. Die Verbindung mit uns selbst stärkt uns für den Alltag und macht uns resilienter. Besonders in stressigen Zeiten ist es wichtig, sich zurückzunehmen und zu verarbeiten. Lieber jeden Tag ein bisschen Zeit für sich, anstatt irgendwann mit geballter Wucht die Scherben der letzten Jahre aufzusammeln.

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