In meinem Leben gab es bereits viele Hürden und Herausforderungen die ich meistern musste. Auch vor der Krebserkrankung war da die ein oder andere Situation die ich meistern musste. Irgendwie bekam ich es immer hin. Meine Aufenthalte im Ausland, das Studium, die vielen Umzüge und Kulturen sowie mein Job damals als Projektmanager zeigten mir wieviel Stärke in mir steckt und wie ich mit Herausforderungen umgehen könnte. Aber auch der Sport, das Stand-up-paddeln und das Meer lehren mich immer wieder aufs Neue und lassen mich mental wachsen. Das Leben ändert sich stetig, es gibt neue Lebensabschnitte, neue Probleme, wir werden älter. Ich habe mich deshalb gefragt, ob und welche Lebenssäulen es gibt, wie diese sich vielleicht auch in den letzten Jahrhunderten geändert haben und warum und wie wir damit umgehen können, wenn eine oder mehrere Lebenssäulen in sich zusammenbrechen.
Durch die Krebserkrankung seit 2014 musste ich oft auf die harte Tour erfahren, was es bedeutet die Gesundheit, den Job und das soziale Umfeld zu verlieren. Wenn keiner dich versteht oder unterstützt, dann ist die letzte tragende Säule du selbst. Und das kann genau die Säule sein, die dich aus allem herausreißt und alle Säulen wieder aufbauen lässt. Das mag am Anfang hart sein, aber es ist es immer wieder wert auf sich selbst zu hören, in sich selbst hineinzufühlen, sich Zeit zu geben, Ruhe zu bewahren, um sich wieder neu zu orientieren. Genau wie beim Stand-up-paddeln auf dem Meer, wenn du von einer Welle getroffen wirst, vom Board fliegst und die Orientierung verlierst.
Was sind Lebenssäulen?
Lebenssäulen sind grundlegende Bereiche, auf denen unser persönliches Wohlbefinden, unsere Stabilität und unser Lebenssinn ruhen. Sie formen das Gerüst unseres Alltags – und geben Halt, wenn das Leben in Bewegung gerät.
Zu den fünf zentralen Lebenssäulen zählen:
- Körperliche Gesundheit (z. B. Ernährung, Bewegung, Schlaf, Prävention)
- Mentale und emotionale Gesundheit (z. B. Umgang mit Stress, Ängsten, innerer Balance)
- Soziale Beziehungen (z. B. Freundschaften, Familie, Gemeinschaft, Zugehörigkeit)
- Beruf und Finanzen (z. B. berufliche Erfüllung, finanzielle Sicherheit, Sinn in der Tätigkeit)
- Lebenssinn und Spiritualität (z. B. innere Werte, Orientierung, Glaube, Vision)
Diese Säulen wirken miteinander. Bricht eine, geraten auch andere ins Wanken – so, wie bei mir, als durch die Diagnose metastasierter Brustkrebs meine körperliche Gesundheit, meine Arbeitsfähigkeit und finanzielle Sicherheit gleichzeitig betroffen waren. Ich stand plötzlich in einem instabilen System, das sich komplett neu ordnen musste.

Was passiert, wenn eine Säule zusammenbricht?
Das Gleichgewicht der Lebenssäulen ist empfindlich. Fällt eine tragende Struktur weg, kann das emotionale, soziale und physische Folgen haben:
- Körperliche Gesundheit: Einschränkungen führen zu Energieverlust, Ängsten und Rückzug.
- Mentale Gesundheit: Belastungen wie Angst oder Depression beeinflussen das Denken, Handeln und die Fähigkeit, Hilfe anzunehmen.
- Soziale Beziehungen: Isolation oder Vertrauensverlust schwächen das Zugehörigkeitsgefühl.
- Beruf & Finanzen: Jobverlust oder Unsicherheit erschüttern unser Selbstbild und erzeugen Existenzängste.
- Lebenssinn: Ohne Orientierung fehlt oft die Motivation, weiterzumachen. Es entsteht ein Gefühl der Leere.
Doch genau hier beginnt auch eine Chance: durch Akzeptanz, Selbstfürsorge und neue Prioritäten kann ein Neuausrichtungsprozess entstehen.
Kann man auch mit weniger leben?
Ja. Auch wenn eine oder mehrere Säulen brüchig sind, können die anderen tragen – zeitweise sogar stärker als zuvor.
Es kommt auf die Balance an:
- Eine chronische Erkrankung kann nicht rückgängig gemacht werden, aber soziale Nähe und ein tiefer Lebenssinn können neue Kraftquellen öffnen.
- Wer beruflich eingeschränkt ist, kann im Ehrenamt, im kreativen Ausdruck oder in der Spiritualität Erfüllung finden.
- Ein neues Hobby kann den Lebenssinn wieder neu entfachen und das Selbstwertgefühl verbessern sowie eine neue Lebensaufgabe sein.
- Kleine Schritte in einem Lebensbereich stärken oft auch andere Bereiche – eine bessere Ernährung und Zeit in der Natur z. B. hebt die Stimmung und stärkt das Selbstwertgefühl.
Wie verändern sich Lebenssäulen im Laufe des Lebens?
Lebenssäulen sind dynamisch. In jeder Lebensphase verschieben sich Bedeutung und Gewicht:
- Jugend: Körperliche Fitness, Ausbildung und erste Schritte im Beruf stehen im Fokus.
- Erwachsenenalter: Beruf, Partnerschaft, Familie und finanzielle Stabilität prägen den Alltag.
- Midlife oder Umbrüche: Fragen nach dem Sinn, nach Ausgleich und innerer Balance rücken stärker in den Vordergrund.
- Alter: Spiritualität, mentale Klarheit, soziale Nähe und Ruhe werden bedeutsamer.
Bewusst zu leben heißt auch, diese Verschiebungen wahrzunehmen und sich innerlich darauf einzulassen – statt alten Idealen nachzujagen.
Gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse
Unsere Vorstellung davon, was ein „erfolgreiches Leben“ ist, ist nicht neutral. Gesellschaftlicher Druck – etwa nach beruflichem Aufstieg, Konsum oder Perfektion – beeinflusst unsere Lebenssäulen oft unbewusst.
In westlichen Kulturen dominiert häufig:
- Leistung vor Wohlbefinden
- Äußere Sicherheit vor innerer Erfüllung
- Körperoptimierung vor Achtsamkeit
Andere Kulturen hingegen betonen Spiritualität, Gemeinschaft oder die Verbindung zur Natur viel stärker. Die Auseinandersetzung mit kulturellen Prägungen kann helfen, eigene Werte zu reflektieren – und authentischere Lebensentscheidungen zu treffen.
Wie sich die Lebenssäulen über die Jahrhunderte verändert haben
Lebenssäulen sind kein modernes Konzept, sondern tief in der Menschheitsgeschichte verwurzelt. Ihre Bedeutung und Gewichtung haben sich im Laufe der Jahrhunderte jedoch stark gewandelt – abhängig von kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen.
In der Antike galt ein gelingendes Leben („Eudaimonia“) als harmonisches Zusammenspiel von Tugend, Gemeinschaft und innerer Ausgeglichenheit. Körper, Geist und Seele wurden als Einheit betrachtet – Gesundheit und Philosophie gingen Hand in Hand.
Im Mittelalter trat die spirituelle Säule in den Vordergrund. Der christliche Glaube bestimmte das Leben, während körperliches Wohlergehen zweitrangig war. Familie, Moral und Gehorsam bildeten das gesellschaftliche Fundament.
Mit der Aufklärung und später der Industrialisierung verschob sich der Fokus: Arbeit, Bildung und wirtschaftliche Unabhängigkeit gewannen an Bedeutung. Die individuelle Selbstverwirklichung trat in den Mittelpunkt, allerdings oft auf Kosten sozialer oder spiritueller Säulen.
Im 20. Jahrhundert wuchs das Bewusstsein für mentale und emotionale Gesundheit. Psychotherapie, Humanismus und die Positive Psychologie führten zu einer ganzheitlicheren Betrachtung des Menschen – erstmals wurden auch Gefühle, Selbstfürsorge und soziale Verbundenheit als essenziell anerkannt.
Heute, im 21. Jahrhundert, erleben wir eine Rückbesinnung auf Ganzheitlichkeit. Themen wie Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance und Selbstverwirklichung erweitern das klassische Säulenmodell. Es geht nicht mehr nur um Stabilität, sondern auch um Sinn, Verantwortung und Bewusstsein im Umgang mit sich selbst und der Welt.
Diese historische Entwicklung zeigt: Lebenssäulen sind keine festen Kategorien, sondern ein lebendiges System – geprägt von Kultur, Zeitgeist und individuellem Lebensentwurf. Das macht sie so wertvoll, aber auch so herausfordernd.

Was tun, wenn alles wankt? Wege aus der Krise
Lebenskrisen – sei es durch Krankheit, Trennung oder äußere Umbrüche – sind oft Wendepunkte. Sie zwingen uns, innezuhalten, zu reflektieren, loszulassen – und neue Wege zu gehen. Hilfreich dabei sind:
- Akzeptanz: Nicht alles lässt sich ändern. Aber alles darf gefühlt werden.
- Selbstfürsorge: Rituale, Natur, Schreiben, Gespräche, Ruhe – was nährt mich wirklich?
- Hilfe annehmen: Professionelle Unterstützung, Austausch mit Gleichgesinnten, therapeutische Begleitung, offene Kommunikation mit denen die Verständnis entgegenbringen.
- Neuer Lebenssinn: Manchmal wächst eine neue Säule genau dort, wo vorher Leere war.
Achtsamkeit als Stabilisator
Achtsamkeit – das bewusste Erleben des gegenwärtigen Moments – ist ein kraftvolles Werkzeug zur Stabilisierung aller Säulen. Sie hilft:
- Klarheit über Bedürfnisse zu gewinnen
- eigene Grenzen wahrzunehmen
- automatische Reaktionen zu erkennen und aufzulösen
- innerlich zur Ruhe zu kommen
Ob beim Spazierengehen, Atmen, Kochen oder Schreiben – Achtsamkeit ist nicht an äußere Bedingungen geknüpft. Sie entsteht dort, wo du ganz da bist.
Selbstverwirklichung und Maslows Bedürfnispyramide
Der Psychologe Abraham Maslow stellte fest: Nur wenn unsere Grundbedürfnisse – wie Sicherheit, soziale Bindung und Anerkennung – erfüllt sind, können wir uns wirklich entfalten.
Selbstverwirklichung, also das Ausleben unseres Potenzials, entsteht dann, wenn wir:
- unsere Lebenssäulen kennen und pflegen
- bewusst Prioritäten setzen
- Sinn und Freude als Richtlinie nutzen
Ein bewusst gelebtes Leben ist weniger ein Ziel als ein Weg – einer, der sich immer wieder neu gestaltet.
Die heilende Kraft der Natur
Natur ist eine oft unterschätzte Lebenssäule. Studien zeigen: Waldspaziergänge, Zeit am Wasser oder Gartenarbeit verbessern nachweislich die mentale und körperliche Gesundheit.
- Grünes reduziert Stress
- Sonne fördert Vitamin D und Stimmung
- Naturerfahrungen stärken das Gefühl von Verbindung und Weite
Achtsam in der Natur zu sein – barfuß laufen, einen Baum berühren, dem Wind lauschen, aufs Meer schauen – bringt uns zurück zu uns selbst, lässt uns erden.
Nachhaltigkeit & Lebenssäulen: Leben im Einklang mit der Welt
Bewusst zu leben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen: für unseren Konsum, unsere Umwelt, unser soziales Umfeld.
Ein nachhaltiger Lebensstil nährt nicht nur die eigene Seele, sondern auch die Gesellschaft und den Planeten. Themen wie:
- ethischer Konsum
- plastikfreie Alternativen
- Gemeinschaftsprojekte
- soziale Gerechtigkeit
können als neue, tragende Elemente in die Lebenssäulen integriert werden.
Ein kurzer Blick in die Philosophie
Schon Aristoteles sprach von „Eudaimonia“ – der Glückseligkeit, die entsteht, wenn der Mensch in Harmonie mit sich selbst und der Welt lebt. Auch moderne Denker wie Hilarion G. Petzold entwickelten das Konzept der Lebenssäulen weiter – u. a. in der integrativen Therapie.
Was sich zeigt: Die Idee der Lebenssäulen ist keine moderne Erfindung, sondern tief im menschlichen Denken verankert. Über die Jahrhunderte hat sich ihr Fokus vom Religiösen über das Rationale bis zur ganzheitlichen Psychologie entwickelt.
Fazit: Was tun die Lebenssäulen für uns?
Lebenssäulen bieten einen klaren, greifbaren Rahmen für ein erfülltes Leben. Sie helfen uns zu erkennen, wo es trägt – und wo wir nachjustieren müssen.
Nicht jede Säule muss immer stark sein. Wichtig ist, dass wir hinschauen, spüren, gestalten – und uns erlauben, immer wieder neu zu beginnen.
Deine Aufgabe heute:
Frage dich ehrlich:
Welche meiner Lebenssäulen trägt mich gerade? Welche ist instabil? Und was brauche ich, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen?
Und manchmal ist eine Säule gerade einfach nichts, einfach nur Leere und Nichtstun. Und das ist auch ok.
Quellenangaben & weiterführende Literatur
Psychologie & Lebensbalance
- Petzold, Hilarion G. (1993): Integrative Therapie – Lebenswelten, Lebenspraxis, Lebenssinn. Junfermann Verlag.
→ Einführung des Modells der fünf Lebenssäulen in der integrativen Therapie. - Maslow, Abraham H. (1943): A Theory of Human Motivation. Psychological Review, 50(4), 370–396.
→ Begründer der Bedürfnispyramide und Theorie der Selbstverwirklichung. - Seligman, Martin E.P. (2011): Flourish – Wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens. Beltz Verlag.
→ Weiterentwicklung der positiven Psychologie mit Fokus auf Wohlbefinden und Sinn. - Siegel, Daniel J. (2010): Mindsight: The New Science of Personal Transformation. Bantam.
→ Verbindung zwischen Achtsamkeit, mentaler Gesundheit und neuronaler Integration. - Neff, Kristin (2022): Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden. Kailash Verlag.
→ Wichtiges Werk zum Thema Selbstfürsorge und Resilienz bei Krisen.
Historische & philosophische Perspektiven
- Aristoteles (ca. 350 v. Chr.): Nikomachische Ethik.
→ Ursprung des Konzepts von „Eudaimonia“ (Glück durch gelebte Tugend und Balance). - Taylor, Charles (1989): Sources of the Self: The Making of the Modern Identity. Harvard University Press.
→ Entwicklung des Selbstbilds und der moralischen Ordnung seit der Antike. - Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Suhrkamp.
→ Gesellschaftliche Strukturen und ihr Einfluss auf Lebensführung und Normierung.
Natur, Gesundheit & Nachhaltigkeit
- Ulrich, Roger S. (1984): View Through a Window May Influence Recovery from Surgery. Science, 224(4647), 420–421.
→ Frühstudie zur heilenden Wirkung von Natur auf Gesundheit. - Bratman, Gregory N. et al. (2015): Nature experience reduces rumination and subgenual prefrontal cortex activation. PNAS, 112(28), 8567–8572.
→ Neurowissenschaftliche Studie zur Wirkung von Natur auf mentale Gesundheit. - World Health Organization (WHO) (2022): Mental health and well-being at the heart of the SDGs.
→ Psychische Gesundheit als Teil globaler Nachhaltigkeitsziele. - Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Gesundheitsförderung im Lebensverlauf.
→ Überblick über Präventionsmaßnahmen und Lebensphasen-orientierte Gesundheitsförderung.
Link: https://www.bzga.de - Kabat-Zinn, Jon (2005): Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. Arbor Verlag.
→ Pionierarbeit zur Achtsamkeitspraxis (Mindfulness-Based Stress Reduction).
Weitere Impulse
- Hüther, Gerald (2011): Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Vandenhoeck & Ruprecht.
→ Neurobiologische Grundlagen von Entwicklung, Selbstwirksamkeit und Lebenssinn. - Goleman, Daniel (2013): Konzentriert Euch! Eine Anleitung zum modernen Leben. DVA.
→ Bedeutung von Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Fokus im digitalen Zeitalter.


