Wir sind ein Team

Heute Vormittag rief ich meine Freundin an. Wir kennen uns erst seit dem 30. März letzten Jahres und könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie 54, verheiratet, 2 Kinder, ich 32, kinderlos, unverheiratet. Gleich vom ersten Moment an im Krankenhaus verstanden wir uns. Klar wir waren beide wegen Brustkrebs im Krankenhaus, aber trotzdem hatten wir Spaß. Wir waren das Zimmer das am meisten gelacht hatte. Selbst die Krankenschwestern kamen gegen 22 Uhr herein und fragten was das Gekicher denn um diese Uhrzeit noch sollte. Wir blieben in Kontakt, die ganze Zeit über. Selbsthilfegruppen brauchten wir nicht, denn wir hatten unsere eigene.

„Wie war die OP?“ fragte ich sie, denn sie hatte die Brust-OP schon hinter sich. Ich fing als erste von uns beiden mit der Chemo an und konnte davon berichten. „sag mal ich hab die Beschwerden, was hast du da gemacht?! Und so ging es immer weiter, wir telefonierten jede Woche, trafen uns zum Kaffee, gingen gemeinsam im Sonnenschein essen und spazieren. Wir waren ein super Team, ein super Krebsteam. Wir hatten uns und das reichte aus. Denn wir wussten, dass egal was komme wir füreinander da sind. Die OP, die Chemo und die Strahlentherapie waren geschafft und nur noch die Kur fehlte.

Als ich heute bei ihr anrief ging ihre Tochter ran. Meine Freundin war nicht da, sie war seit dem Wochenende im Krankenhaus. Sie hatte immer stärkere Rückenschmerzen gehabt, hohen Bluthochdruck, konnte nicht mehr richtig schlafen. Es wurde immer schlimmer mit der Zeit. Im Krankenhaus behielten sie sie gleich dort. Sie hätten sie untersucht und dunkle Flecken auf Leber und Lunge gefunden. Das musste untersucht werden. Ich machte mich sofort auf den Weg zu ihr.

Während der 20 minütigen Autofahrt lief mein komplettes Leben noch mal vor mir ab. Der Kindergarten, meine Großeltern, die DDR, Hamburg, ein Ossi im Westen zu sein, die Grundschule, das Gymnasium, mein Studium, Ibiza, meine Mama, meine Freunde, mein unbeschwertes Leben. Und dann kam der Krebs und die Gedanken an den Tod. Und mit ihm Kerstin. Sie ist eine der liebevollsten und gutmütigsten Menschen die ich je kennengelernt habe. Und nun lag sie dort auf dem Krankenbett, im rechten Arm eine Kanüle, auf ihrem Bauch ein Sandsack, der die Blutung von der Leberbiopsie stillen sollte. Durch die Chemo waren ihre Haare nun gewellt und grau.

„Sie haben dunkle Flecken auf der Leber und der Lunge entdeckt. Gestern habe ich nur geweint beim Anblick meiner Familie,“ sagte sie. „Was, wenn es wirklich Metastasen sind? Wer kümmert sich dann um meine Familie?“ Ich konnte sie nur trösten, ihr beistehen, gut zureden. Es berührte mich sehr und ich musste die Tränen zurückhalten, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen. Das Ergebnis ist noch nicht da, soll aber in den nächsten Tagen kommen.

Als ich das Krankenhaus verlasse kommen mir die Tränen. Ich muss weinen, denn ich will meinen Teampartner nicht verlieren. Wir hatten uns geschworen, das alles gemeinsam durchzustehen und nach den ganzen Therapien wieder lachend durchs Leben zu gehen. Wir hatten uns versprochen immer füreinander da zu sein und den Krebs auszutricksen.

„Und du wirst auch irgendwann ein Baby haben, da freue ich mich schon drauf!“ sagte sie damals. Ich kann nur noch hoffen, dass es gut ausgehen wird, denn ein Team besteht immer aus mindestens 2 Partnern. Und die sind Kerstin und ich.

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