Die Medien sind voll damit, auf Instagram finde ich bei jedem 2. die Vorsätze „Positiv denken, dann widerfährt mir nur positives.“ Jeder stellt sich gut gelaunt ins Blitzlicht und möchte seinen Followern vermitteln „Ich bin ein positiv denkender Mensch und bei mir sieht alles gut aus. Auch im nächsten Jahr, denn da wird alles noch besser.“ Doch wie ist das für mich als metastasierter Brustkrebspatient, als Palliativpatient?
Wie komme ich zu diesen positiven Gedanken und wie gehe ich mit negativen Gedanken um? Wie gehe ich mit Trauer um? Ist Trauer wirklich so verrufen, dass ich darüber nicht sprechen darf? Darf ich meine Trauer und negativen Seiten überhaupt zeigen?

Daueroptimismus und positives Denken. Ein Trend der sich überall durchzieht wie ein roter Faden. Für mich als Krebspatient ist das an manchen Tagen gar nicht so einfach, denn meine Medikamente beeinflussen manchmal meine Laune, der Gang ins Krankenhaus erinnert mich an negative Erfahrungen, an Menschen die hier gestorben sind. Die Aussage „Laut Statistik haben Sie noch 20 Jahre“ schwingt immer mal wieder mit, obwohl ich es so gut wie möglich ausschalte. Oder sagen wir „Ich tue alles, damit es mehr als 20 Jahre werden…“
„Ich fühle mich gerade traurig“ oder „Alles ist gerade totaler Mist“ sind Aussagen die an manchen Tagen auf mich zutreffen. Doch wie gehe ich damit um? Soll ich diese Gefühlsäußeren nicht mehr zulassen? Das würde bedeuten, dass mein Ansehen bei anderen höher geschätzt wird als mein Wohlergehen. Laut des Therapeuten Arnold Retzer enteigne sich der Mensch eines wichtigen Gefühls, der Trauer, und drohe verlorenzugehen.
Traurigkeit und schlechte Gefühle sind dazu da, heilend zu trauern, sie sind mit Entwicklung verbunden, der Akzeptanz und Einsicht, dass Leben Veränderung ist. Die Diagnose zum Leben mit dauerndem Optimismus: Durch mangelnde Einfühlung in uns selbst haben wir es heutzutage mit einer Unwilligkeit zu trauern zu tun.
„Zur Atmung des Lebens gehöre, das Traurige zu akzeptieren. Immer gut drauf zu sein wäre eine Katastrophe“, so der Philosoph Wilhelm Schmid. „Die forcierte Abwehr von Traurigkeit treibe den Menschen gar ins Unglück.“
Philosoph Wilhelm Schmid
Die Traurigkeit gehört zum Leben dazu und erzielt einen hohen Erkenntnisgewinn. Durch Trauer schätze ich selbst die positiven Dinge des Lebens mehr. Nach manchen Tagen der Trauer oder des Schlechtdraufseins weiß ich, dass auch wieder gute Tage kommen werden. Schon der Gedanke daran erhellt mein Gemüt.
Die Wut und die Angst lasse ich mittlerweile zu, in einem gesunden Maß. Ich lasse sie nicht an anderen ab, ich gehe selbst damit um. Ich erkenne die Trauer, ich wäge sie ab wie schlimm sie ist und was ich in diesem Moment damit tun kann. Entweder ich sitze im Auto, mache die Musik total laut an und singe mit zu den Foo Fighters „Best of you“ oder ich gehe aufs Laufband und renne so schnell ich kann. An anderen Tagen setze ich mich aufs Rad und düse durch die Gegend. Dann widerum frage ich mich wie es dazu kommen konnte, dass diese Trauer und Wut mich so überkommt.
Um wieder zu mir selbst zu gelangen und mich damit auseinanderzusetzen habe ich mittlerweile folgende Strategie entwickelt die auch aus therapeutischer Sicht gut sind:
- Erkenne die Situation. Warum drehen sich meine Gedanken ständig um das gleiche Thema?
- Begrenze die Grübeleien auf eine bestimmte Zeit von maximal 5 Minuten. Am Abend grundsätzlich keine Probleme wälzen.
- Werde aktiv: ich stoppe die Gedankenkette, indem ich aktiv Sport treibe, mich mit Freunden verabrede die mir gut tun oder ich rufe beste Freunde an.
- Betrachte dein Problem aus der Ferne, nehme eine distanzierte Haltung ein. Ich halte dazu inne und mache einen Schritt zurück. Manchmal muss man einen Schritt zurück machen, um zwei Schritte vorwärts gehen zu können. Ich frage mich „Ist es wirklich sooo dramatisch wie ich es gerade fühle?“ Wie würde jemand anderes das Problem gerade betrachten?
- Setze Problemlösestrategien ein. Was genau stört mich und was soll konkret geändert werden?
- Power posing: nehme eine selbstbewusste Haltung ein und atme gleichmäßig tief ein und aus für ein paar Minuten.
- Durch eine bewusste Atemtechnik beruhige ich mich schneller und besorgniserregende Gedanken werden weniger.
- Ich mache mir klar, dass die Vergangenheit vorbei ist. Ich bleibe im Hier und jetzt, so dass ich aufhöre zu grübeln.
Meine Gefühle unterdrücke ich dadurch nicht, sondern ich bewerte sie, bearbeite sie und versuche anders damit umzugehen, dass sie mich nicht mehr so stark belasten.
Viele vergessen heutzutage, dass ohne Seelenschmerz und Traurigkeit keine Lebendigkeit zu haben ist. Wie auch? Wie kann ich das Leben wirklich spüren, wenn ich immer nur gut drauf bin? Wie kann ich dann überhaupt bewerten, was gute und was schlechte Tage sind? Woher weiß ich dann was ein megagutes Glücksgefühl ist, dass ich noch nie hatte, wenn ich immer nur gut drauf bin? Ohne dir vorige Trauer über meinen neuen Krebsbefund konnte ich vor Weihnachten nicht erfahren, dass mein CT Befund gut ist, denn die Metastasen haben sich nicht weiter verbreitet, sie sind dort geblieben im Rücken wo sie bereits waren. Noch glücklicher machte mich die Situation, dass mein Freund sich die Zeit nahm mit mir zusammen zur Befundbesprechung zu gehen, obwohl er sehr viel zu tun hatte. Zu wissen, dass jemand zur Seite steht, einen auffängt, wenn es mal nicht gut läuft, mit mir die Glücksmomente teilt und Freudentränen die Wangen herunterkullern, macht mich glücklich.
Die Trauer, der Optimismus gehören genau so zusammen wie der Krebs zu meinem Leben seit 2014 gehört. Ganz egal, ob die Krebszellen noch in meinen Knochen schlummern oder irgendwann ganz weg sein werden. Es ist ein Teil von mir auch im neuen Jahr 2020. Ich bin gespannt was das neue Jahr bringt. Ein paar Ziele habe ich: ich möchte noch viele Momente in diesem Leben teilen, egal ob gut oder schlecht, ob positiv oder negativ. Genau so wie ein Magnet negative und positive Pole braucht, um sich anzuziehen und ein ganzes Teil zu ergeben.
Mein Fokus liegt auf meiner kleinen Familie, meinem Leben als Stand up Paddlerin und auch darauf verschiedene qualitative Krebsprojekte voranzubringen, um diese Welt nur ein kleines Stück zu verbessern. Und wenn ich diese Ziele nicht erreiche, dann frage ich mich zuerst warum ich sie nicht erreichen konnte, bewerte die Situation und finde einen Weg damit umzugehen.
Stand up paddeln im Roten Meer

Danke für diesen Blogbeitrag! Ich bin immer auf der Suche nach anderen Bloggerinnen, die interessante Ideen zum Thema „metastasierter Brustkrebs“ haben und damit mein Leben mit dieser Krankheit bereichern. Dir ist es gelungen!
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Du hast meinen tiefsten Respekt!!..ich wünsche Dir ein phänomenal gutes Jahr 2020!!! Liebe Grüße Corinna
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Dank dir meine liebe. Alles Gute auch für dich für 2020! Herzliche Grüße, Su
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Du hast mich mit deinem Text gefangen, zum nachdenken und auch zum Lachen gebracht. Danke liebe Su. Ich bin froh, dich zu kennen! 😘
Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen.
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dann habe ich genau das erreicht was ich erreichen wollte 🙂 ich freu mich auch dich bald wiederzusehen und mit dir zu lachen, egal über was 😀 Drück dich süße Maus!
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